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"Ein Tag ohne Corona"-Gutschein

 (Text entstanden während "Zeit-Zeugen-Projekt" per Zoom bei Barbara Pachl-Eberhard)

 

Stell Dir vor...eine gute Fee schenkt Dir einen "Ein-Tag-ohne-Corona"-Gutschein. Was würdest Du damit anstellen? Würdest Du ihn einlösen wollen - und wenn, ja, was würdest Du damit erleben? Was vermisst Du in dieser eigenartigen Zeit, was wünschst Du Dir, wohinein möchtest Du Dich denken und träumen? Dieser magische Tag darf ganz nach Deinem Geschmack ausfallen! Grenzen im Kopf oder auf dem Landkarte spielen keine Rolle. Und seine Stunden sind nach Belieben dehnbar...

 

Heute ist soweit. Gestern Abend im Schlafanzug habe ich meinen Ein-Tag-ohne-Corona-Gutschein unters Kopfkissen gelegt. So sollte er in Erfüllung gehen, hatte die gute Fee vor ein paar Wochen zu mir gesagt, an diesem eigenartig warmen Morgen im Januar. Ich konnte mich lange nicht dazu durchringen, ihn einzusetzen. Warum? Weil er anschließend aufgebraucht sein würde. Dieser wertvollste aller Tage. Aber gestern Abend wusste ich: Heute würde es genau ein Jahr her sein, dass wir vier zuhause unsere Tür vor der Außenwelt verschlossen hatten. 365 Tage Corona. Und da war ich mir endlich gewiss: Es war soweit.

Ich blinzele in die helle Morgensonne. Fühle mich ausgeschlafen wie lange nicht mehr. Was ist da los? Durch mein gekipptes Dachfenster zwitschern die Vögel herein. Das Haus scheint leer. Ah, richtig, die Kinder sind bei meiner Mutter! Herrlich. Meine Nase schnuppert, ich richte mich auf. Vor dem Bett steht das kleine goldene Tablett, darauf ein Pott dampfenden Kaffees, zwei Croissants mit einem Klecks Aprikosenmarmelade, ein blaues Blümchen und – ein Flugticket? BASEL-SEVILLA Wie bitte? Hastig setze ich mich auf, schnappe das Ticket, lese erneut, ja, das Datum ist das heutige, Abflug: 10.00 Uhr. Hinten drauf: SEVILLA-BASEL, der Rückflug. Ankunft: 24.00 Uhr. Und eine kleine Notiz in vertrauter Handschrift: Bis gleich! Lara und Kerstin.

Dieser Tag wird einzigartig: Frühstück im Bett, Frühlingssonne im Gesicht. Musik unter der Dusche, ein Postbote, der mir fröhlich den Brief eines alten Freundes in die Hand drückt. Ein Taxi, das vor unserem Haus hält, als ich gerade meinen Rucksack über die Schulter werfe, und meine liebsten Freundinnen Lara und Kerstin aus Stuttgart und München, die mich von der Rückbank aus anstrahlen! Ich quetsche mich zwischen sie, wir umarmen und küssen uns, und dieses Gefühl, sorglos, frei, vorfreudig, ist unbeschreiblich. Taxi zum Flughafen – heute umsonst! Ein Flugzeug – heute ohne Umweltverschmutzung! Ein albern-fröhlicher Flug zu dritt, Schwelgen in Erinnerungen an das gemeinsame halbe Jahr damals in dieser wundervollen Stadt, die uns heute endlich wieder empfangen wird.

 

Ankunft in Sevilla – warme Luft, gemütliches Treiben, Flamenco tönt aus den Tapasbars, es muss um die Mittagszeit sein. Wir reihen uns ein in den Strom der Hungrig-Werdenden, spanische Sätze schwirren mir um die Ohren und vereinen sich in meinem Kopf zu einer reinsten Wohltat aus rollendem R, Musik und Lebenslust.

 Plaza Alfalfa – hier lassen wir uns nieder. Wählen viele kleine Speisen aus wie früher, das Wasser läuft uns im Munde zusammen, Oliven, Patatas bravas, Queso, einen Tinto de Verano dazu… Orangenbäume säumen den kleinen Platz, bunte Häuser, Wäsche flattert im sanften Wind.

Über mich legt sich eine tiefe Ruhe. Geborgen fühle ich mich in dieser Stadt, zwischen meinen gut gelaunten Freundinnen, ohne Pflichten, mit so viel Zeit. Quälende Deutschhausaufgaben, die Kinder, das Chaos und selbst mein Mann sind ganz, ganz weit weg. So weit weg, dass es mir schwerfällt, mich noch an den Alltag zu erinnern. Nein. Heute ist ein Tag, der mir in Erinnerung bleiben wird. Heute wird er-lebt!

Am Guadalquivir schaukeln Hängematten über dem Wasser und wir in ihnen. Träge und zeitlos. Ich schreibe Ansichtskarten, aber das Datum ist mir entfallen. Zwei Jongleure führen tolle Kunststücke auf der Uferpromenade auf, immer mehr Leute versammeln sich um sie, wir lachen, staunen, feuern an, klatschen!

Langsam senkt sich die Abenddämmerung über die Stadt. Die Gässchen leeren sich. Wir drei trinken einen späten Kaffee am Flughafen. Schweigen miteinander, schauen in die Ferne. Schwer die Beine, leicht das Herz.

Spät nachts komme ich zuhause an, in meinem Dorf in Deutschland. Es ist still. Die Sterne leuchten.

Auf der Fußmatte finde ich ein Zettelchen: „Willkommen zurück, liebe Mama! Bis morgen früh!“ Und einen Kuss von D.

Täuscht es mich, oder war ich tatsächlich eine längere Zeit fort?

 

Ich schlafe glücklich ein in dieser Nacht.